Ostsee-Umrundung | gesamt 5.428 km
Burträsk (SWE) – Umeå (SWE) | Tag 71 | heute 95 km
Ich lerne schon seltsame Hotels kennen auf der Tour. Diesmal mit zugeklebten Fenstern und fleckigem Bettlaken auf einer Seite. Gut, nehme ich die andere. Das Bad hat den Charme eines Krankenhauses, nur nicht so steril – im hygienischen Sinne.
Frühstücksbegegnung mit einem Norweger
Morgens beim Frühstück nehme ich die am kürzesten abgelaufene Milch. Dann taucht Björn auf, ein Pensionär aus Norwegen, und rettet den Morgen mit einem Gespräch über Reisen und Radeln. Er ist mit dem Wohnmobil hier. Früher war er leidenschaftlicher Rennradfahrer und ist Rennen gefahren. Halbmarathons ist er auch gelaufen mit Top Zeiten, an die ich nicht rankomme. Aber die Knie haben nicht mehr mitgemacht.
Jetzt reist er mit dem Wohnmobil rum, besucht seine Kinder und 4 Enkel. Er wohnt am Polarkreis, und so sehr er die Gegend liebt, so flüchtet er in den langen dunklen Zeiten Richtung Süden. So viele Zeitzonen hat er bereist, es fehlen nur noch neun. Australien, da möchte er noch hin, und nach Kuba.
Wir sehen die Wunder nicht, die uns zu Füßen liegen
Ich ermutige ihn und sage: „Das ist doch machbar, wenn Du wirklich willst. Eine jedes Jahr!“. Ich sehe das Funkeln in seinen Augen. Wie oft er schon Aurora, die Polarlichter, gesehen hat, frage ich ihn. Er winkt lachend ab, ich dachte es mir schon. „Bleiben sie nicht immer etwas Besonderes?“, frage ich ihn. „Man gewöhnt sich dran“, sagt Björn.
Ich antworte ihm, dass es manchmal gut ist, wenn man darauf aufmerksam gemacht wird, was man eigentlich Wunderbares hat, weil man es selbst nicht mehr sieht. Er hält inne und lächelt. Wir reden sicher eine halbe Stunde und zum Abschied gebe ich ihm meine Blog Adresse und verabschiede mich mit: „Nine zones to go, Björn, you start next year!“ Draußen begegnen wir uns nochmal, er sagt „What a heavy bike!“ und fügt grinsend hinzu: „A good exercise!“. Fast schon britischer Humor, ich muss laut lachen!
Die einsamen Straßen unter meinen Reifen lasse ich mich sehr entspannt die ersten 20 Kilometer dahingleiten und nehme die Höhenmeter locker.
Zwischen Bullmark und Robertsfors sehe ich wieder eine dieser natürlichen Bauminseln mitten auf dem Feld. Diesmal jedoch ergänzt um einen kleinen Sessel. Sieht gemütlich aus.
Neben den Straßen sehe ich in Hochsitzen und Stühlen immer wieder Jäger, auch tagsüber. Hin und wieder hört man einen Schuss, die Jagdsaison hat vor einer Woche begonnen. Einen nur fünf Meter neben der Straße sitzenden Jäger spreche ich an. Ja, er jagt Elche, diese Wesen, die sich mir nicht zeigen. Gleich da hinten in dem Wald seien viele.
Dann ein Café in Bygdsiljum, ein Wunder! Naja, nicht ganz, kurz vorher befindet sich große holzverarbeitende Industrie, und es gibt sogar einen Skilift. Eigentlich möchte ich nur einen Kaffee, aber für 10 € gibt’s Buffet mit Kaffee und Getränken, das sagt man einem ewig hungrigen Radreisenden nicht zweimal.
Es fährt sich nicht leichter mit der großen Portion Essen, doch nach einer halben Stunde Verdauungsradeln geht es mit frischer Energie weiter. Drei Anläufe auf Geocaches mache ich, aber entweder er ist nicht an der vermuteten Stelle, oder er ist zu gefährlich in Autowracks oder auf hohen Felsen. Ich muss mir nicht noch alleine den Fuß verstauchen oder Schlimmeres.
Ich begleite eine Kreuzotter
Gerade sause ich bergab in Gedanken mit 35 Stundenkilometern dahin, da sehe ich etwas auf der Straße und kann gerade noch ausweichen. Schlange! Ich bremse sofort ab, steige vom Rad und sie liegt da wie zuvor. Oh nein, denke ich, schon wieder eine tote Schlange. Ich gehe vorsichtig hin, identifiziere sofort eine Kreuzotter und – sie lebt! So dirigiere ich meine Freundin von der Straße und nerve sie ein bisschen mit meiner Kamera. Ja, sie ist giftig, das ist mir bewusst, und so beobachte ich genau ihre Bewegungen.
Erstaunlich, ich hätte bei 8-10 Grad Außentemperatur nicht mit wechselwarmen Tieren gerechnet. So suchte sie in der Sonne sicher auch den schwarzen, aufgewärmten aber lebensgefährlichen Asphalt auf. Die Begegnungen mit Schlangen auf der Tour sind echte Highlights für mich. Merkt man es mir an?
Die letzten 15 Kilometer nach Umeå muss ich leider auf die 364, die ohne Seitenstreifen und sehr befahren ist. Ich schüttle den Kopf und denke an die ruhigen Straßen der letzten beiden Tage zurück. Schick mir mehr davon!
Umeå
In Umeå angekommen mache ich nach dem Check-In noch eine kurze Fotosafari. Umeå ist Provinzhauptstadt von Västerbottens län. Mit rund 84.000 Einwohnern ist sie die größte Stadt Norbottens und liegt auf Platz 15 der größten schwedischen Städte. Von der 1863 errichteten 301 Meter langen Gamla bron (Alte Brücke), der ältesten erhaltenen Brücke der Stadt, mache ich vor der untergehenden Sonne ein Foto, genauso von dem modernen verspiegelten Bibliotheksgebäude.
Und Umeå hat sogar eine richtig schicke Fahrradgarage, in der man für 50 Kronen im Monat, also etwa 4,60 €, sein Fahrrad sicher unterstellen kann.
Hier ließe es sich auch noch einen Tag aushalten. Nicht zu groß, nicht zu klein. Aber die freien Tage möchte ich für Regentage oder die großen Städte verwahren, die nächste ist Stockholm in ungefähr einer Woche.
Morgen gezwungenermaßen ein Schritt über mehr als 125 Kilometer, es gibt keine näheren Unterkünfte mehr. Puh, anstrengende Tage.