Ostsee-Umrundung | gesamt 871 km
Wicie (POL) – Izbica (POL) | Tag 12 | heute 85 km
Morgens treffe ich auf dem Platz Maja aus der Schweiz, sie war unterwegs mit einem Reiseradler, der gekündigt hat und um die Ostsee radelt wie wir. Nun fährt die sympathische Radlerin die Küste entlang zurück Richtung Deutschland. Gute Fahrt, Maja!
Wir verabschieden uns von unseren polnischen Freunden Eva und Marcin, die uns auch in Lublin willkommen heißen. Nach einem guten Frühstück machen wir uns mit Rückenwind auf die Fahrt gen Osten. Die Strecke verläuft zunächst auf glatten Radwegen, das soll sich aber rasch ändern.
14 Kilometer Baustellenrennen
Wir fahren Richtung Ustka (Stolpmünde) entlang einer im Bau befindlichen Straße mit gutem Asphalt. Sie wird immer wieder einspurig mit Ampelpassagen auf einer Strecke von 14 Kilometern. Wir müssen mächtig Gas geben, um in den einspurigen Passagen mithalten zu können, doch die Autos und LKWs müssen immer wieder bremsen wegen Schlaglöchern, während wir locker drumherum zirkeln können.
Die meisten haben Verständnis, nur ein Autofahrer bremst uns absichtlich aus, als wir hinter ihm auf den Pedalen balancieren und die Ampel grün wird. Obwohl alle fahren, bleibt er so lange stehen, bis wir absteigen müssen und gibt dann Vollgas. Ja, es gibt sie überall… Wir haben uns gestern mit mehreren Polen zum Thema Fahrrad unterhalten, und die Ansicht ist weitgehend, dass Straßen für Autos sind. Na, da sind wir ja selbst in Deutschland ein Stück weiter. Es erklärt uns aber manches Verhalten und wir sind gespannt, wie es im Baltikum ist.
Der Weg zieht sich ländlich dahin auf einem gut befahrbaren Feldweg. Dieser verläuft auf der Trasse einer früheren Schmalspurbahn, die die Dörfer früher miteinander verbunden hat. Zwei deutsche Radfahrer, die am Rande der Strecke eine Pause machen, erklären uns, dass Russen nach dem Krieg die Gleise eingeschmolzen haben und Polen die Bohlen als Feuerholz verbrannten.
Wir verlassen den Weg und die altbekannte Sandpiste lässt uns mit unseren 40 Kilogramm Bikes schwimmen und schlingern. Ich denke noch ‚hoffentlich kommt gleich ein anderer Belag‘, als wir uns schon auf dem häufigsten Radweg Material befinden: Gelochte Betonplatten über zig Kilometer Länge. Jedes Loch holpert, und die Kanten der Platten stehen oft gefährlich hoch. Die Aufmerksamkeit ist so hoch, dass man sich nicht umdrehen kann, ohne Gefahr zu laufen zu stürzen.
Der malerische Jezioro Gardno
Wir passieren den malerischen Garder See (Jezioro Gardno) auf der Seite zum Meer, was ungewöhnlich bist, da die Route die Seen meist südlich mit einem größeren Schlenker umgeht. Dann kommen wir an ein Häuschen und müssen für die weitere Strecke eine Maut bezahlen. Dafür folgt ein hübscher Waldweg mit Beschreibungen von Fauna und Flora, die wir aber leider nicht lesen können, da sie nur auf Polnisch sind.
Plötzlich sehe ich kurz vor mir eine Schlange regungslos auf dem Weg, ich kann gerade noch ausweichen, warne Tristan laut, und wir bremsen sofort ab. Es ist eine junge Ringelnatter, wir vermuten, dass sie schon vor uns überfahren wurde. Tristan und ich sind ganz geknickt, weil er denkt, dass er sie überfahren hat – aber ich denke sie war schon tot. Sie ist noch weich und ganz geschmeidig, die Schwanzspitze zuckt noch. Wir legen sie unter Moos an einen Baum. Schade um sie, so ein wunderschönes Reptil!
Der Weg geht weiter durch harzig duftenden lichten Birken-Buchen-Kiefern Mischwald. Wir haben über 60 Kilometer hinter uns und machen eine kleine Pause an einem Lebensmittelladen. Ja, hier gibt es sie noch, die kleinen Tante Emma Läden, wie aus meiner Kindheit. In welch schlechtem Zustand Straßen und Bürgersteige in den Dörfern abseits vom Tourismus sind, fällt uns nach einigen Tagen hier in Polen kaum noch auf. Auf den Dörfern sehen wir oft auch gebückt stehende alte Frauen, die in ihren Gärten großflächig Kartoffeln und anderes Gemüse anbauen.
Wir kommen am letzten erhaltenen slowinzischen Friedhof entlang und biegen kurz nach einem Freilichtmuseum ab in Richtung unseres Tagesziels Leba, das bei ungefähr 100 Kilometern liegt.
Slowinski Park Naradowy: Mitten durchs Moor
Was jetzt folgt, sprengt unser Tagesziel: Die kommenden fünf Kilometer führen uns mitten durch ein Moorgebiet, über Stege, schwarze torfige Strecken, sperrige Bolen und Pfade. Frösche hüpfen über den Weg, das Gras wächst links und rechts oft hüfthoch und die Wasserflächen des Moors mit der schon tiefer stehenden Sonne sind wunderschön.
Aber die Strecke ist sehr anstrengend zu fahren mit den schweren Bikes, sicher interessant mit einem leichten MTB. Wir brauchen für die fünf Kilometer ungefähr 80 Minuten, da wir ständig absteigen und schieben müssen. Und doch ist die Fahrt durch den Slowinski Park Naradowy sicher auch der Höhepunkt des Tages. Ich bin nass geschwitzt, als wir wieder herauskommen.
Top Campingplatz in Icbica
Tipp: Wir beschließen den nächsten Schlafplatz zu nutzen, und kommen an einen einsamen Campingplatz, den Baza Turystyczna Familia. Der Besitzer Sławomir ist Feuerwehrmann mit einer Partnerfeuerwehr in Berlin Weißensee. Er empfängt uns herzlich. Wir bekommen von seiner Frau Izabela selbst gekochten Gulasch und leckeren Bigos. Das beste für Reiseradler: In einem Unterstand gibt es kostenlos Stromsteckdosen, so dass die Powerbanks und andere Geräte wieder aufgeladen werden können. Das kommt genau rechtzeitig!
Das Gelände bietet eine riesige Rasenfläche, Volleyballnetz, Grill, Aufenthaltsraum mit Billiard und Dart, alles ist da, irgendwo im Nirgendwo.
Um 23:40 Uhr hören wir nur noch ein entferntes Froschquaken, sonst ist alles ruhig. Mit uns auf dem Platz ist nur noch Matias, gebürtiger Argentinier aus Italien, der uns schon zehn Kilometer vor dem Ziel über den Weg fuhr. Er ist wie wir auf dem Weg nach Danzig. Wir sprechen beim Abendessen über unsere Routen, sind aber alle ziemlich geschafft vom Tag und den letzten Kilometern. So sind wir früh im Zelt, auch um den aggressiven Mücken zu entgehen, die hier ihr Unwesen treiben und mich beim Zähneputzen achtmal erwischen. Wir sind halt nahe an einem Moor!
Morgen soll es weiter über Leba Richtung Danzig gehen.
6 Kommentare
Wir haben den Weg durchs Moor genommen. Für meinen Sohn einer der tollsten Abschnitte. Beim sich anschließenden sandigen Waldweg (hinter Gac Richtung Leba) sank die Stimmung hingegen gewaltig. Hinzu kamen dort die abertausenden Mücken.
Ja, Polen bietet wirklich schöne Trails in den Nationalparks, aber oft eher MTB geeignet als für die schmalen Tourenreifen. Das Moor ist ein Highlight, nur mit schweren Bikes anstrengend. Und es stimmt: Du denkst Du hast es danach geschafft, und dann wirds nochmal richtig biestig Richtung Leba! Die Mücken begleiten unsere Tour seit den Masuren, der Insektenreichtum des Baltikums ist ein Segen – und manchmal ein Fluch ;).
Super! Ich wollte gerade aufgeben heute Izbica anzufahren weil der Campingplatz nirgends auftaucht. Danke das ihr seine Existenz bestätigt.
Gruß aus Stilo. Wir hatten gestern Sandtag. Und werden das Moor auslassen (auf Komoot wird davor gewarnt)
Das freut mich, dass unsere Blog Artikel eine Orientierung geben! Das Moor ist wirklich toll, aber mit schweren Rädern schon anstrengend. Und der Campingplatz ist uns als einmalig in Erinnerung geblieben. Wir erzählen oft davon!
Hi,
Was grate to meet you in Izbica!
Thanks for excelent morning talk.
Krzysztof
Dear Krzysztof,
it was great to talk to you both too at this nice place. Hope you had a relaxed way back!
We are right now in Latvia, heading to the top.
Best cycling regards
Bernd