Ostsee-Umrundung | gesamt 463 km
Pruchten (DEU) – Greifswald (DEU) | Tag 6 | heute 93 km
Heute Morgen kommt Tristan trotz Weckversuchen nicht aus dem Bett. Nach zwei Stunden Warten mit Frühstück kippe ich sein heißes Wasser weg und ziehe die Längsstange des Zelts halb heraus. Die Nachbarfamilie aus Berlin, deren Tochter Jannika auch gerade in Schweden 100 km pro Radreise-Tag fährt, meint ich brauche wohl viel Geduld. So ist es heute Morgen.
Erster Disput auf Tour
Wir fahren los und geraten in unseren ersten Disput der Tour. Realistisch betrachtet sind wir ja auch schon drei Tage über dem statistischen Mittelwert bei unseren Touren! Am Hafen von Barth warte ich auf Distanz, es dauert, bis Tristan kommt, an mir vorbeiradelt und nicht mehr anhält. Ich versuche ihn anzurufen, aber er möchte seine Ruhe. Ich telefoniere mit der Heimat, und wir sind sehr beunruhigt. Hoffentlich geht das gut. Die Sorge zieht sich durch den Tag. Werden wir es wieder hinbiegen können?
In der Zwischenzeit geht es entlang der Bodden. Ich halte an einer Stelle, an der eine Familie badet, mache eine Pause und fotografiere einen Storch auf dem Dach einer Hütte, der mich bis ca sechs Meter an sich ran lässt, bevor er majestätisch die Schwingen aufspannt und fortfliegt. Später am Tag fotografiere ich einen zweiten Storch, und nehme wahr, dass der Vogel für die Menschen hier ein häufiges Erscheinungsbild ist, während er bei uns im Rheinland eine echte Rarität ist.
Ich komme bei Kilometer 50 in das schöne Stralsund und mache Mittag. Vorher besorge ich Sonnencreme, da ich einen Sonnenbrand auf den Armen bekomme. Meine eigentliche Sonnencreme radelt bei Tristan im Gepäck. Bei einer herrlichen Brüsseler Waffel und einem großen Kaffee finalisiere ich den Blog Artikel des gestrigen Tages. Biwak am Strand, wie phantastisch das war!
Gespräch mit Soldaten
Nach einem Abstecher zum Hafen und der Gorch Fock 1, der ersten Version des Bundeswehr-Segelschulschiffs, geht es weiter Richtung Greifswald. Aber nicht ohne noch ein Räucher-Fischbrötchen zu genießen. Die Gelegenheit muss ich nutzen, Tristan verabscheut selbst den Geruch von Fisch. Zwei Soldaten in Zivil quatschen mich an, und wir flaxen ein paar Minuten rum. Einer der beiden ist in Stralsund, um sich Tattoos stechen zu lassen. Er war einige Jahre in Afghanistan und hat sich die Namen der Menschen, die für ihn im Leben wichtig waren, inklusive Geburtsdatum auf den Arm tätowieren lassen. Es gibt ein wirklich nettes Foto fürs Familienalbum, aber ich darf es nicht hier auf dem Blog zeigen, was ich gern respektiere.
25 km Kopfsteinpflaster nach Greifswald
Die nun folgende Strecke zwischen Stralsund und Greifswald will nicht enden. Sie führt in einer Allee neben einer viel befahrenen Landstraße entlang. Allee klingt romantisch, und wie schön, sie hat Kopfsteinpflaster! Was auf den ersten 500 Meter noch toll ist, zieht sich sagenhafte ca 25 km auf der Strecke hin. Vermutlich noch von vor 1945, meint ein Einwohner von Reinberg zu mir.
Vollkommen durchgeruckelt sehen Tristan und ich uns erst 86 km später in Greifswald wieder. Ein kurzer Abstecher zum Markt zeigt uns die sehenswerten historischen Bauten. Hier lässt es sich aushalten. Wir sind mit Philipp verabredet für unsere vergessenen Kissen und die neue Krankenkassen Karte.
Zulassen, Dinge verschieden sehen zu dürfen
Doch vorher sprechen Tristan und ich über den Tag und was eigentlich in uns vorgeht. Wie verschieden wir manche Dinge sehen – und dass es aber auch so sein darf. Und wie viel Missverständnisse entstehen, weil nonverbale und verbale Kommunikation vom Gegenüber anders interpretiert wird, als sie gemeint ist. Das gilt natürlich für beide Seiten.
Mitten im Gespräch schaut ein Passant interessiert auf unsere Räder und ich rufe ihm hinterher: „Auf zum Nordkapp!“. Er hält inne und erzählt, dass er zu einer Segelregatta hier ist und gerade aus der Klinik kommt, da ihm ein Mast auf den Kopf gefallen ist. Er zeigt uns die blutige Verletzung unter seiner Kappe.
Peter, selbst auch Reiseradler, gibt uns ein paar gute Tipps für Übernachtungen in Dänemark, da dort das skandinavische Jedermannsrecht eingeschränkt ist. Zum einen gibt es ausgewiesene Koordinaten für Stellen, an denen man Hängematte oder Zelt für eine Nacht aufstellen darf. Zum anderen sogenannte Shelter, niedrige Bauten, unter die man seine Matte legen kann. Wir sind gespannt. Danke, Peter!
Service von Phillip und Bekki an der Strecke
Wir fahren weiter zu Phillip und Bekki, die uns direkt am Eingang mit unseren Kissen herzlich begrüßen. Die beiden versuchen uns noch zu helfen bei der Improvisation von Tristans Vorderradständer, aber es klappt nicht. Dafür gibt’s ein Bierchen im Hausflur gratis. Danke für den tollen Service und das Kaltgetränk! Sie fragen, ob wir noch Zeit haben etwas zu essen, aber es ist bereits 20:40 Uhr und die Campingplätze machen meist zwischen 20 und 21 Uhr dicht. Also radeln wir weiter.
Als wir merken, dass es zu knapp wird, entdecken wir einen Grünstreifen neben einer Straße, kochen Nudeln mit Tomatensauce und bleiben die Nacht dort.
Das Zelt ist gerade zu – da höre ich Schritte. Ich sage „Wer ist da?“ und gehe aufgeregt nachsehen. In den Büschen raschelt es, es war wohl nur die schwarze Katze, die wir vorhin schon gesehen haben.
Fühlt sich nach einer unruhigen Nacht an.