Ostsee-Umrundung | gesamt 7.411 km
Rødvig (DNK) – Møns Klint (DNK) | Tag 95 | heute 96 km
Es ist ohne Zweifel motivierend, morgens die Vorhänge zu öffnen und aufs Meer zu schauen. Natürlich wäre dies mit einem Sonnenaufgang noch motivierender, so trübt der Regen ein wenig das Gesamtbild. Aber motivierend bleibt es allemal.
Nach stärkendem Frühstück sitze ich mit einem Kaffee in einem gemütlichen Ohrensessel mit Blick auf die im Wind tosende Ostsee. Mir wird bewusst, wie endlos groß sie ist, und dass ich sie fast umrundet habe. Dort drüben, auf der nicht sichtbaren Seite, war ich noch vor einigen Wochen. Das nicht möglich Scheinende habe ich fast geschafft. Mir rinnen plötzlich Tränen über die Wangen, und ich brauche einen Moment, um mich wieder zu sammeln und meinen Aufbruch vorzubereiten.
Der Wind macht mir ein wenig Sorge, 85 Kilometer möchte ich heute zurücklegen, um mein Ziel an der Spitze der dänischen Insel Møn zu erreichen. Er bläst heute mit zwischen 30 und 50 km/h aus Südwest, das ist mindestens für 50 Kilometer exakt meine Fahrtrichtung.
Gegenwind – juckt mich nicht
Ich beschließe mich davon nicht weiter beeindrucken zu lassen und lasse mich einfach von starken Böen weit unter 10 km/h treiben, um danach wieder etwas Fahrt aufzunehmen. Ich feiere jede Ortschaft, jeden Wald und jede hohe Hecke. Sie nehmen mir zwar die Sicht auf die aufgewühlte Ostsee, doch bieten sie mir auch einen Windschutz, in dem ich meine 20 km/h Richtgeschwindigkeit wieder aufnehmen kann. Ich singe dazu „Danke für diese schöne Hecke“, frei nach dem Kirchenlied ‚Danke für diesen guten Morgen‘, als ich an einem Hauseigentümer vorbeikomme, der eine solche gerade schneidet. Er versteht mich zum Glück nicht, denke ich.
Ich halte an einer Stelle, an der es nur wenige Schritte bis zum Meer sind und treffe Max und Pierre, zwei Architekten aus Berlin, die mit dem Fahrrad von Malmö aus unterwegs zurück nach Deutschland sind. Sie fahren zunächst weiter, aber wenig später treffen wir uns wieder und fahren einige Kilometer zusammen, bis sie eine Mittagspause einlegen. Wir sprechen darüber, dass es ziemlich verrückt ist, 7.000 km um die Ostsee zu radeln. Aber Max meint: „Naja, was ist verrückter, so eine Tour zu machen, oder jeden Tag wie so mancher frustriert seinen Job zu machen und keinen Weg heraus zu finden“? Ich schmunzle. Und antworte, dass die Tour auch von Anfang an für Tristan und mich eine Suche nach Inspiration war.
An einem Platz mit Ziegen, Schafen und Gänsen in Sandvig mache ich meine Mittagspause mit Sandwich und Ei. Es ist 14 Uhr und ich liege mit 48 Kilometern über der Hälfte des Tagesziels, perfekt.
Es wird hügeliger, entlang ruhiger asphaltierter Feldwege radle ich über die ‚Panoramaroute‘ mit häufigem Ostseeblick Richtung Møn. Die Fahrtrichtung dreht nun erfreulicherweise langsam Richtung Südost aus dem Wind.
Schließlich erreiche ich nach gut 50 Kilometern die ‚Dronning Alexandrines Dro‘, eine 745 Meter lange Bogenbrücke über den Ulvsund. Sie verbindet die dänischen Inseln Seeland und Møn. Die Brücke ist übrigens das Motiv des dänischen 500 Kronen Scheins.
Der Wind bläst heftig
Den ganzen Tag frage ich mich schon, wie ich euch sichtbar machen kann, wie windig es heute ist. Flagge hatten wir schon an einem anderen Tag. Aber hier hängt eine Windfahne, das ist noch viel besser! Als ich über die Brücke fahre ist der hier ungebremste Wind so stark, dass mein Helm nur noch von den Riemen gehalten wird. Die Kamera traue ich mich nicht mehr heraus zu holen, dafür müsste ich die Tasche öffnen. An den Brückenpfeilern lege ich heftige Schlenker hin, wenn der Wind durch sie kurz fortgenommen wird. Nach der Brücke wird es wieder etwas windärmer und ich bekomme teilweise sogar Rückenwind. Au wei, denke ich, morgen musst du diese 30 Kilometer wieder zurück fahren und hast sicher Gegenwind.
In Stege trinke ich einen schnellen Cappuccino, natürlich schließt das Café um 16.00 Uhr, und es ist zehn Minuten vor vier. Ich checke das Wetter und ein neues Regengebiet rückt an.
Top-Tipp: Schnell wieder aufs Rad und Gas geben zu Møns Klint, einem imposanten Kliff am Ende der Insel. Nach 20 Kilometern erreiche ich es nach einem Anstieg auf über 100 Meter Höhe vor dem Regen und kann noch einige atemberaubende Blicke auf das Kliff werfen. Das 6 Kilometer und bis zu 128 Meter hohe Kliff ist sehr beeindruckend. Es führen insgesamt vier Treppen hinunter zum Strand, alleine mit Wanderungen hier ließe sich ein wundervoller Tag verbringen. Man kann hier im kristallklaren türkisenen Wasser schnorcheln, wahrscheinlich eher im Sommer, und in den Felsen lassen sich Fossilien finden. Zusätzlich gibt es ein Geocenter, in dem sich sicherlich auch interessante Zeit verbringen lässt.
Leider kann ich mir das Kliff nur von oben ansehen, um es vom Strand bewundern zu können, fehlt mir die Zeit. Es wird dunkel, und ich habe Abendessen reserviert, da hier weit und breit kein Restaurant ist. Morgen wird es nicht klappen, ich habe über 105 Kilometer vor mir plus zwei Fährüberfahrten. Ein Ausflug zum Kliff mit Strand kostet mich mindestens eineinhalb bis zwei Stunden. Fest steht: Hier möchte ich gerne nochmal hin, und es ist nicht weit von Deutschland entfernt.
Im Gespräch mit Däninnen
Abends treffe ich nach dem Essen Randy und Ida aus Dänemark. Ida ist Italienerin, lebt aber seit 14 Jahren in Dänemark. Sie verkauft italienische Pflegeprodukte, Randy kümmert sich in ihrer Gemeinde um Start-ups. Der Aufenthalt hier bei Møns Klint und im Gästehaus ist ein Geburtstagsgeschenk an Ida. Das Kliff ist ein sehr berühmter Ort Dänemarks, wo man einfach mal gewesen sein muss, erzählen mir die beiden. Und unbedingt soll ich mir die Perspektive vom Strand ansehen. Bei dem heutigen Wetter rollen die Wellen der Brandung die runden großen Steine übereinander, ein Geräusch, dass sie noch nie gehört haben. Wir unterhalten uns sicher zwei Stunden über all die verschiedenen Länder und Kulturen meiner Tour. Ich muss abermals feststellen, dass Dänen deutlich redefreudiger sind als Schweden und Finnen. Natürlich bekomme ich Tipps für Dänemark und den schönsten Shelter Platz auf Langeland – wenn ich dort mal hinkomme, es ist nicht Teil dieser Tour.
Morgen also in einem Big Move nach Rødbyhavn zur Fähre nach Fehmarn!
8 Kommentare
.. jetzt wollte ich gerade schreiben, dass wir als Kinder auf Mön waren, aber wie ich sehe, hat das mein Schwesterherz schon übernommenn .. na heute noch verspätet schöne Zeit auf Fehmarn! Und Gruß an Dirk aus dem SUP Verleih, falls du an einem SUP Verleih mit Schweiz-Flagge vorbei kommst! Ulla
Liebe Ulla,
leider haben wir Dirk nicht getroffen. Tatsächlich hat uns aber jemand im Vorbeigehen zum SUP Motiviert und so standen Julian und ich eine Stunde auf dem Board. Eine schöne gemeinsame Erfahrung!
Jetzt sitze ich auf der Fähre nach Æro im Nieselregen und bin auf die Insel gespannt.
Beste Grüße
Bernd
Ach wie schön!!! In Møn haben wir als Kinder mal einen Urlaub verbracht! Die Steine und Fossilien haben wir heute noch. Da möchte ich irgendwann auch noch mal hin….
Dir wünsche ich jetzt aber erst mal eine erholsame Woche auf Fehmarn! Liebe Grüsse an die beiden anderen?! Ich freue mich jetzt schon auf den letzten Teil deiner Reise. Das tägliche Lesen ist ja fast wie live dabei sein und (im trockenen Zimmer) mit genießen!
Lg regina
Liebe Regina,
das kann ich verstehen, Møn ist wirklich ein wunderbares Ziel. So viel erstaunliche wunderbare Natur. Und viele geschützte Pflanzen wie Orchideen und Tiere wie Wanderfalken! Einer der Punkte, an die es mich mit großer Wahrscheinlichkeit nochmal führt. Da bin ich also auf euren Spuren gewandelt!
Wir freuen uns, miteinander hier auf Fehmarn zu sein. Und ich sammle Kräfte für die letzten Tage der Tour!
Radreiseglückliche Grüße von Fehmarn an die ganze Familie
Bernd
Lieber Bernd,
Glückwunsch zum Erreichen des Zwischenstops Fehmarn.
Ich wünsch euch dreien einen wunderbaren Urlaub und bin sehr gespannt auf die letzten Radreiseetappen!
Lieber Karl,
hab Dank! Wir freuen uns hier auf Fehmarn zusammen ein paar schöne Tage zu verbringen. Und danach geht’s in die finalen Radreisetage. Unglaublich!
Radreiseglückliche Grüße
Bernd
Wow, ich bin begeistert von den Bildern des Kliffs…
Und ich bin jeden Tag aufs Neue beeindruckt von deiner Kraft und Ausdauer, von dem was du leistest und von dem, was du erlebst.
Das Auf und Ab mit Rad spiegelt sich bestimmt auch in deinen Emotionen immer mal wieder. Ich kann mir vorstellen, dass es gerade in der Schlussphase immer schwerer wird, zu begreifen, was du da geleistet hast – was ihr geleistet habt…
Genießt die Ferien zusammen. Ich wünsche euch eine schöne Zeit auf Fehmarn und erwarte mit Spannung die letzten Tage deiner wahnsinns Reise!
Liebe Grüße
Pamela
Liebe Pamela,
ja, das stimmt. Ein wunderbares Kliff und gar nicht weit von Deutschland.
Ab und an kommen die Emotionen dann auch durch. Und mir wird bewusst, wie groß doch die Ostsee ist, und dass ich einfach mal (fast) um sie herum geradelt bin. Mit Höhen und Tiefen über der See – und Höhen und Tiefen in mir.
Deine Kommentare begleiten mich dabei immer. Danke dafür!
Nun erholen wir uns eine Woche auf Fehmarn, und das Bewusstsein sich wieder zu haben, ist ein ganz Besonderes.
Radreiseglückliche Grüße
Bernd