Ostsee-Umrundung | gesamt 6.352 km
Stockholm (SWE) – Nyköping (SWE) | Tag 83 | heute 123 km
Ich verlasse Schwedens Hauptstadt Richtung Südwesten. Fast 20 Kilometer dauert es, bis ich die Außenbezirke hinter mir lasse, immer auf Radwegen neben meist zweispurigen Straßen entlang großer Wohnblocks und vorbei an der Universität in Huddinge.
Weitere zehn Kilometer und ich biege hinter Vårsta auf eine weniger befahrene Straße ab. Endlich fahre ich wieder an ruhigen Seen vorbei, und die typischen rot-weißen schwedischen Holzhäuser tauchen wieder auf. Ich habe sie tatsächlich in Stockholm vermisst.
Tipp: Dann komme ich am Eldtomta Café & Shop vorbei. Etwas unentschlossen betrete ich es für einen Cappuccino, es ist mitten auf dem Land und nach meinen letzten zweitausend Kilometern bin ich überrascht, überhaupt ein geöffnetes Café zu finden. Ich bekomme nicht nur einen spitzen Cappucino und einen sehr leckeren selbstgebackenen Limetten-Kuchen, die ganze Atmosphäre ist sehr gemütlich, genau was ich immer suche, um meinen Blog zu schreiben. Also schreibe ich hier meine ersten Zeilen des Tages zusammen. Es ist 12:45 Uhr und ich habe bereits knapp 40 der geplanten 109 Kilometer recht entspannt geschafft.
Hinter Skanssundet warte ich ungefähr zehn Minuten, bis die Fähre ‚Karin‘ kostenfrei auf die andere Seite des Wassers übersetzt. Als ich auf der Fähre bin, winkt mich der Kapitän zu sich auf die Brücke hoch. Die fünfminütige Überfahrt darf ich von dort oben betrachten, eine Perspektive, die ich noch nie hatte – großartig! Dabei reden wir kurz über die Tour, ich glaube die letzte Fährfahrt mit dem Rad war in Polen im Juli!
Nun folgt ein wirklich schönes Stück Radtour entlang der Inseln des Archipels, die im Verlauf mit Brücken miteinander verbunden sind. Die Bäume tragen immer mehr warme Herbstfarben, es fällt aber auch mehr auf, weil sich mehr Laubbäume, vor allem Eichen, statt der Nadelbäume untermischen.
Ich mache einen Abstecher nach Trosa, auch wenn ich weiß, dass das zu den 109 geplanten Kilometern ein Plus von gut sechs Kilometern bedeutet. Es ist ein Tipp von einem Schweden aus dem Café von heute Mittag, und meine Route vom GPS führt ebenfalls dort entlang. Der Ort hat seinen Ursprung im Jahr 1500 und wurde 1719 von russischen Flotten niedergebrannt und dann neu aufgebaut. Er ist wirklich malerisch entlang des kleinen Flusses Trosaån gelegen, der hier in die Ostsee mündet. Eigentlich würde ich einen Kaffee trinken, doch die Cafés, die mir gefallen, haben Montags zu.
So fahre ich weiter und versuche den Regenwolken zu entkommen. Das klappt ganz gut, dann stelle ich jedoch fest, dass es insgesamt 121 Kilometer sein werden und ich damit meinen Puffer zum angesagten Regen um 19 Uhr aufzehren werde.
Im Zentrum des Gewitters
Es kommt noch schlimmer, vor mir wird es bedrohlich dunkel, der Regen ist eine Stunde schneller. So ziehe ich gegen 18 Uhr meine Regenmontur an und es fängt auch sofort an zu tropfen. Kräftige Windböen reißen die Blätter von den Bäumen und wirbeln sie durch die regengesättigte Luft. Dann ein Blitz, knapp sechs Kilometer entfernt. Als kurze Zeit später der zweite nur noch gut einen Kilometer entfernt ist, suche ich oberhalb von Vålarö Unterschlupf und kauere mich gehockt unter einen kleinen hüfthohen Hochsitz. Gewitter war keins angekündigt. Mein Dach hat ziemlich breite Lücken, aber es ist besser als nichts, vor allem suche ich ja Schutz vor Blitzschlag. Ich beschließe das Schlimmste abzuwarten, und so fahre ich erst eine halbe Stunde später im Dunkeln in leichterem Regen weiter.
Als ich um eine Kurve komme, sehe ich 20 Meter vor mir auf der rechten Seite einen Fuchs neben der Straße stehen. Er schaut in die entgegengesetzte Richtung und bemerkt mich erst, als ich nur noch knapp einen Meter von ihm entfernt bin. Erschrocken wie eine Katze springt er zur Seite, ich muss lachen, und er huscht in die Büsche.
Ich bin froh als ich nach 123 Kilometern gegen 20 Uhr an meiner heutigen Unterkunft in Nyköping ankomme und diese mich nicht nur freundlich willkommen heißt, sondern auch eine Unterstellmöglichkeit für mein Norwid bietet. Was hat mich heute so viel Zeit gekostet, dass es so spät wurde? Vor allem das Warten auf die Fähre und das Kauern im Regen, so habe ich sicher eine Stunde verloren. An solchen Tagen ist es top, wenn es ein Restaurant gibt, damit ich nicht noch lange suchen muss. Perfekt. Essen, Sauna, telefonieren, Blog. Schlafen!
Was sagt man einem Todkranken?
Abends sehe ich auf dem Flur vor mir einen älteren Herrn mit einem Rollstuhl, der sich sehr mühsam fortbewegt. Ich biete ihm meine Hilfe an, die er dankbar annimmt. Sein Englisch ist schlecht, aber ich verstehe, dass er nur noch zwei Monate zu leben hat, Krebs. Er bedankt sich tausendmal, dass ich ihm auch die Tür zum Zimmer öffnen helfe. Was wünscht man jemandem, der nur noch so kurze Zeit hat? Ich wünsche ihm eine gute Zeit. Was können wir dankbar sein, wenn wir gesund sind. Und was bin ich dankbar, dass ich all diese tollen Länder und Menschen kennenlernen darf. Es kann auch ganz anders sein. Momente, die mich erden.
Morgen werde ich dann wohl etwas kürzer treten, zumal die Unterkunftsmöglichkeiten sehr schlecht sind. Vielleicht mal unter 100 km. Dafür gab es für heute sogar ein Spendenangebot, aber ich hätte irgendwo im Nirgendwo im Regen bei 3° Celsius mein Zelt aufschlagen müssen, das braucht es dann doch nicht.
2 Kommentare
.. bin etwas mit lesen hinteher .. und hoffe, dass ich gleich lesen kann, dass es wieder etwas mehr als 3° werden .. oder war das „nur in der Nacht.
Sitmmt, was sagt man jemanden, dessen Lebensende er klar vor Augen hat? ich hätte es auch nicht gewußt, und hoffentlich wäre mir in der Sekunde etwas passendes eingefallen. Ich finde deine Entgegnung ziemlich gut.
.. und jetzt lese ich mal weiter …
Leider sind die Temperaturen so geblieben und die gefühlte Temperatur liegt aktuell um den Gefrierpunkt. Das kann ich nur bestätigen! Es soll zunächst so bleiben. Der Herbst überholt mich, der Winter schickt schon seine Vorboten. Brrrrrrrr!