Ostsee-Umrundung | gesamt 3.898 km
Raseborg (FIN) – Turku (FIN) | Tag 52| heute 122 km
Bis 1:00 Uhr feiert eine Gruppe hinter mir, ab 5:30 Uhr baut der Radler neben mir ab. Puh, da fehlt etwas Schlaf.
Die Fahrt ist sehr anstrengend heute. Die ersten 10 Kilometer von Raseborg Richtung Turku verläuft der Weg flach mit Rückenwind und führt dann auf eine Schotterstraße an einem in der Sonne glitzernden See vorbei. Sie ist gut fahrbar, bringt jedoch auf den kommenden 10 Kilometern auch stete Hügel und 250 Höhenmeter mit sich.
Es ist hügelig
Da ich irgendwo heute Morgen die Zeit habe liegen lassen, und um 12 Uhr erst 20 meiner heutigen 115 Kilometer hinter mir habe, beschließe ich auf die Hauptstraße zu fahren. Sie ist glatt und ich kann den Wind eher nutzen. Ziel: 60 km um 14:00 Uhr. Es gibt ab und an einen Radweg, aber so schlimm wie in Russland ist es bei weitem nicht. Es ist einfach nicht so viel Verkehr und zumindest die Autos überholen in weitem Bogen. Die Straße ist natürlich nicht schön, ab und an rauschen dicht LKWs vorbei, und es bleibt anstrengend. Die Landschaft ist gänzlich anders als die des Baltikums. Prägten dort noch Laubbäume das Bild, haben hier die Nadelbäume übernommen. War es dort flach, haben es hier die Hügel in sich.
Es ist 14:00 Uhr und mein Kilometerzähler erreicht exakt 60 Kilometer. Das Thermometer zeigt 28 Grad Celsius. Jetzt mache ich Mittag in der Stadt Salo, das wollte ich mir vorher nicht erlauben. Durch die Abkürzung über die Schnellstraße ist mir der Nationalpark auf meiner linken Seite entgangen, aber ich habe auch einige Kilometer waagerecht und Meter senkrecht eingespart. Für die Nationalparkstrecke hätte ich 20 Kilometer weniger planen sollen. Sie wäre sicherlich schön, aber sehr anstrengend gewesen.
Nach Salo komme ich auf meine Route zurück und folge manchmal der Landstraße, manchmal kleineren Straßen ohne Mittellinie. Ich passiere kleine Dörfer mit den typischen roten Häusern und weitläufigen Feldpassagen dazwischen.
Eine überfahrene Kreuzotter bietet mir die Möglichkeiten ein paar Nahaufnahmen von diesem schönen Reptil zu schießen. Lebendig wäre sie mir natürlich lieber gewesen!
Zwischendurch muss ich wieder die Karte wechseln, es ist das vierte Mal auf der Tour. Sie ist in Segmente eingeteilt, das nächste ist fällig. Auch das zeigt den Fortschritt der Tour. Zweimal war Tristan noch dabei.
Finnische Sauna
Es bleibt am Ende ein Tag des Kilometermachens und ich habe um 18:00 Uhr 110 Kilometer geschafft, also wirklich gut aufgeholt. 122 Kilometer und über 1000 Höhenmeter bin ich gefahren und checke im Hostel Linnasmäki in Turku ein. Es ist keins der kleinen Hostels, sondern bietet mit über 200 Betten auch Schulklassen Platz und Konferenzräume an. Ich komme gerade noch rechtzeitig, um meine erste finnische Sauna wahrnehmen zu können, zumindest für 15 Minuten. Statt Handtüchern gibt es hier Einweg-Sitzunterlagen, und es gibt meist unterschiedliche Zeiten für Frauen und Männer. Gemischtsaunen sind wohl eher seltener. Ein Bär von einem Finnen macht in meinen acht Minuten Sauna zehn Aufgüsse, was mächtig einheizt.
Ich schlage zum Abendessen im Grillrestaurant eines Irakers auf und es gibt tatsächlich einen Falafel Teller mit Pommes und Salat, für finnische Verhältnisse absolut vertretbar für 8,90 €. Der Besitzer ist gesprächiger als die meisten Finnen und war schon eine Zeit in Deutschland, den Niederlanden und Belgien.
Finnland – ein erster Eindruck
Was habe ich sonst heute in Finnland gesehen: Es ist alles sehr ordentlich und hübsch, und doch eingebettet in die Natur. Die Blaubeersträucher wachsen teils an den Hängen der Städte. Sport-, Basketball- und Hockeyplätze sehen aus wie geleckt. Kein Graffiti, selten leer. Die Jugend ist das Kapital, das haben die Finnen erkannt. Sie sind sehr stolz auf ihr Land, ihr Wasser, ihr ausgezeichnetes kostenfreies Bildungssystem, ihr Design, und vieles mehr. Manchmal kann es auf mich fast schon ein bisschen arrogant wirken, aber es gibt auch die sehr naturnahen Finnen, die ganz anders sind.
Die junge Generation hat ständig große Kopfhöher an, ist stylish angezogen und starrt fortlaufend auf das Smartphone. Auch beim Radfahren und Rollerbladen, und so muss ich auf normalen Radwegen heute mehrmals brüllen „Take care!“, damit es nicht zum Unfall kommt, wenn sie auf mich zusteuern, ohne es zu merken. Brüllen, weil sie die Klingel nicht mehr hören. Das hatte ich noch in keinem Land der Tour.
Sie sind sicherlich Vorbilder für die Estländer, die danach streben, ähnlich erfolgreich zu sein. Die Sprachverwandtschaft, die direkte Fährverbindung Helsinki – Tallin und die Historie stützen meine These. Und doch sind sie unterschiedlich, die Estländer tendenziell introvertiert, die Finnen eher extrovertiert, jedenfalls mit gehörigem Selbstbewusstsein. Aber wie bei allem gilt: Pauschalisieren lässt sich auch das sicher nicht.
Ich bin gespannt, wie sich mein Bild von Finnland weiter entwickelt. Mit dem heutigen Tag vervollständige ich die Umfahrung des Finnischen Meerbusens, die in Estland nach den schönen Inseln begonnen hatte. Da war ich noch kein Großvater, denke ich lachend!
Wie geht es morgen weiter? Gen Norden. Mein nächstes Ziel liegt bei Poori, wo mir ein lieber Ex-Kollege und Finne ein Ferienhaus zur Verfügung stellt und so unser Projekt unterstützt. Einfach großartig – und mit ein Grund, warum ich nicht durchs Land abgekürzt habe. Das ist aber zu weit für einen Tag, und so werde ich den angekündigten Regen am Morgen auf dem Wetterradar checken und dann Richtung 80 Kilometer fahren, vielleicht nicht ganz so viel wie in den letzten Tagen.