Ostsee-Umrundung | gesamt 2.653 km
Tallinn (EST) – Jülich (DEU) | Tag 36 | heute 0 km
Muss ich heute schreiben, wo es keine Radtour gibt und ich nach Deutschland fliege? Müssen muss ich nicht, aber irgendwie fließt es aus den Fingern, und es gibt zu viele Gedanken rund um die Tour.
Der Wecker klingelt um 3:45 Uhr. Meine erste Bolt-Fahrt folgt, dank Edgar, für 3,50 € zum Flughafen Tallinn, der sehr zentral liegt. Ein bisschen Social Media, elektronischer Check in. Der Typ neben mir im Flieger ist vollkommen unkommunikativ. Kopfhörer den ganzen Flug, schaut einen Film. Wo will man denn da mit seiner Kommunikation hin, denke ich mir lachend! Kein Problem: Schreiben.
Meine Tour aus der Vogelperspektive
Nach dem Start sehe ich die Küste der Ostsee aus der Vogelperspektive und es ist ein ganz besonderer Moment. Wir fliegen ein Stück die Küste entlang, die ich zuvor mit dem Rad entlang gefahren bin – und ich erkenne die Abschnitte wieder. Ich sehe die Halbinsel Pakri und die Bucht, wo ich gezeltet habe. Ich sehe den Windpark und erinnere mich an den Leuchtturm und die Begegnung mit der Kreuzotter. Und frage mich, ob es Tristan bei seinem Start auch so ging. Normalerweise würde er jetzt neben mir sitzen.
Wie unsagbar wenig sieht man von hier oben von den intensiven Erlebnissen, die ich am Donnerstag fortsetzen werde. Je länger der Flug dauert, desto bewusster wird mir, was für eine lange Strecke wir bereits zurückgelegt haben, und das in nur einem Monat.
Klimaausgleich
Übrigens habe ich die CO2 Bilanz meines Fluges bereits über atmosfair ausgeglichen. Es fällt mir schwer genug zu fliegen, aber für diesen Zweck ist es nicht anders möglich.
Wie bei allem gilt auch hier: Sei Dir einfach bewusst, was Du tust und wofür. Und stell Dir die Frage, ob es notwendig ist. In diesem Fall ja, denn die Wertschätzung, mein Enkelkind zur Geburt begrüßen zu dürfen, möchte ich in jedem Fall geben und auch mir nicht nehmen. Es gibt die kleinen Dinge im Leben, die Du nicht falsch machen solltest, weil der Schaden immens sein kann. Das hier gehört dazu – ein Besuch von Herzen!
Mit einer Zwischenlandung in Warschau geht es weiter. Als ich zum Premium Bus gewiesen werde verstehe ich: Sie hatten mich kurz vor Abflug noch einem anderen Sitzplatz zugewiesen mit Premium/ Business Upgrade. Daher auch die tolle Beinfreiheit und der unkommunikative Nachbar!
Mit einer Zwischenlandung in Warschau geht es weiter nach Düsseldorf. Diesmal hat niemand neben mir einen Kopfhörer auf, juhu, ich kann reden! Allerdings nur mit mir selbst, die fünf Plätze rechts neben mir sind leer.
Ich habe mir für Finnland einen Track heruntergeladen, mit dem ich die verlorene Zeit herausholen möchte. Er führt von Lappeenranta nach Kokkola. Manchmal ist es aber ein Krampf mit den Garmins. Ich habe die verschiedensten Garmin Apps auf dem Smartphone, von Connect bis Explore. Aber den blöden Track auf das GPS zu übertragen gelingt mir nicht. Dass das so kompliziert sein muss, Garmin.
Immer noch im Zeitplan!
Beim Check meiner Zeitplanung während des Fluges mache ich eine erstaunliche Entdeckung. Ich liege exakt im Zeitplan und muss erst am 18. August in Russland sein! OK, das eröffnet wieder die Helsinki-Option!
Ich sehe die Felder und Waldstücke unter mir dahingleiten und mir wird bewusst, welch großes Glück ich habe, all die Landschaften, Wälder und Küsten in Radfahr-Geschwindigkeit sehen und erleben zu dürfen, auch wenn es oft anstrengend und manchmal zäh ist. Die endlosen Fahrten durch Lettlands wenig besiedelte Wälder entlang der Küstenlinie bekommen eine andere Qualität, wenn man die zerstückelten Waldstücke während des Fluges betrachtet, der nun über Deutschland sein dürfte.
Wiedersehen nach fünf Wochen
Meine Frau wartet am Flughafen Düsseldorf und wir nehmen uns nach nun fünf Wochen lange in den Arm. So wie Tristan, den ich eine knappe Stunde später in Jülich wiedersehe und ihm einfach nur sage: „Du fehlst!“. Und Julian, unseren Jüngsten, der sich sehr freut mich wiederzusehen. Es ist schön, alle wiederzusehen inklusive Hündin Pilar, Hund Ticio, und Katze Billy, aber auch ein bisschen surreal, da ich gerade noch auf Tour in Tallinn war.
Wir sprechen viel über die Tour, und einige Stunden später ist es dann soweit: Wir fahren nach Aachen ins Krankenhaus, und ich darf Milan, unser Enkelkind begrüßen und ihn auf dem Arm halten. Was für ein süßer Kerl, und was für liebevolle Eltern. Ihr macht das ganz toll, Kristina und Torsten!
Wieder zu Hause gibt’s es Abendbrot, wir sehen ein bisschen Serie und mir fallen mal wieder hundemüde die Augen zu. Ich falle – ich kann es kaum glauben – in mein eigenes Bett!
6 Kommentare
Lieber Milan , was hast du für junge Großeltern und Onkels ! Du Glückspilz!
Ein tolles Foto…………..HERZLICHEN GLÜCKWUNSCH , besonders an Kristina natürlich.
Viele Grüße…………….und dir, Bernd , eine gute Weiterreise per Rad !
Charlott
Vielen Dank,liebe Charlott, sie sind auch eine tolle junge Familie, ich durfte sie heute nochmal sehen, bevor es jetzt zurück nach Tallinn geht. Gerade sitze ich am Flughafen. Morgen geht’s dann wieder auf den Sattel.
Liebe Grüße
Bernd
Eure Reise in der NDR Mediathek: https://www.ndr.de/fernsehen/Land-zwischen-Oder-und-Newa,sendung756964.html
LG
Danke für den tollen Tipp! ?
Lieber Bernd,
Darauf habe ich 20 Jahre gewartet. Erinnern Du und Susi Euch noch an Susi’s Geburtstagsparty bei der ihr auf mich gezeigt hab mit den Worten gerichtet an alle Gäste: Guckt mal, die sind schon über 30!!!
Somit zeige ich jetzt auf Euch: Die sind schon Opa und Oma! 🙂
Genieße die Zeit mit Milan und der ganzen Familie und ich freue mich dann ab Donnerstag wieder von Deinen Radabenteuern zu lesen. Ich weiß, dass Du Tristan sehr vermißt, aber ich nehme mir jedes Jahr mindestens eine Woche, in der ich alleine auf Tour gehe. Man geht dann doch viel offener auf andere Menschen zu und andere gehen auch offener auf Alleinreisende zu. Und so habe ich schon viele wunderbare Menschen getroffen, mit denen ich zum Tiel immer noch regelmäßig in Kontakt bin. Weiterhin gute Fahrt – Ingä
Liebe Ingä,
na das haben wir uns ja dann redlich verdient! Mit etwas weißem Bart versuche ich der neuen Rolle gerecht zu werden. Und das tolle: ich darf jetzt sicher radeln wie ein Opa und muss nur noch 50 km am Tag machen! Hab ja auch Zusatzgewicht vom Gehstock!
Wir freuen uns sehr, und hoffen Milan tolle junge Großeltern zu sein. Er ist jedenfalls ein sehr süßer Fratz und es fällt mir schwer gleich wieder nach Tallinn zu fliegen.
Liebe Grüße nach Edinburgh
Bernd