Ostsee-Umrundung | gesamt 2.573 km
Saaremaa, Leisi (EST) – Haapsalu (EST) | Tag 30 | heute 100 km | ?
Die Nacht war ruhig und ich werfe nach dem Aufwachen den Campingkocher an, um mir einen Kaffee und Müsli zuzubereiten. Die Fähre fährt nur ungefähr zehn Minuten von mir entfernt ab und ich bin früh dran. Es ist erst 7:30 Uhr. Leider konnte ich die Fährzeiten nicht mehr sehen, da die Internetseite der Fährgesellschaft nicht responsive ist. Ich vergesse es auch morgens noch einmal zu checken, und baue in Ruhe das Zelt ab, bis es trocken ist.
Da fährt sie, die Fähre
Als alles gepackt ist um 9:40 Uhr, sehe ich wie die Fähre an der Landspitze entlang fährt. Mist denke ich, gerade verpasst. Sicherlich fährt bald die nächste. Leider falsch gedacht, die nächste fährt erst um 11 Uhr. Aber es gibt ein schönes Café, und so kann ich die Zeit bis dahin genießen. Um 11 Uhr muss ich dann leider feststellen, dass ich mich vertan habe. Die Fähre geht erst um 12:30 Uhr. Das ist wirklich ärgerlich, jetzt habe ich viel Zeit verloren. Heute wird es eng für 100 Kilometer, allerdings bin ich gestern mit den 136 km auch schon ordentlich in Vorleistung gegangen.
Ich nutze die Zeit für Social Media und zum Aufladen der leeren Geräte. Um die verlorene Zeit einzuholen, entschließe ich mich, die original Route auf Hiiumaa, der zweitgrößten Insel Estlands, abzukürzen und an der Südküste zu queren. Unterwegs auf der Fähre unterhalte ich mich mit ein paar französischen Reiseradlern, sowie einem sehr netten Paar aus dem Raum Passau, die mit dem Auto Lettland erkunden.
Auf Hiiumaa angekommen wende ich mich Richtung Osten und fahre die Küste entlang.
Die Halbinsel Kassari
Ich kann der Versuchung nicht widerstehen, einen Abstecher über die Halbinsel Kassari zu fahren, da die Straße dort sehr dicht am Wasser verläuft. Und in der Tat sehe ich auf diesem Teilstück mehr Ostsee, als ich in den vergangenen Tagen auf den vielen hundert Kilometern zu sehen bekommen habe. Denn hier ist eher Weide- und offene Sumpflandschaft, ohne dass der Wald die Sicht verdeckt. Am Straßenrand finde ich auch eine schöne Windmühle und die Sage vom Riesen ‚Leiger‘, dem ein bronzenes Denkmal gesetzt ist. Er wollte den Menschen der Legende nach eine Brücke von Kassaari nach Saaremaa bauen, die aber wegen eines Bruderstreits nicht vollendet wurde. Die schmale Spitze unterhalb von Kassaari ist demnach die unvollendete Straße.
Durch den Abstecher verliere ich allerdings ungefähr 25 Minuten. So verpasse ich zuverlässig auch die nächste Fähre zum Festland und muss bis 17:30 Uhr warten.
Laut Wetterradar wird mich dies mit hoher Wahrscheinlichkeit in den Regen führen, obwohl ich vom Anleger aus nur noch ungefähr 10 Kilometer bis zu meinem heutigen Tagesziel Haapsalu habe. Dort habe ich mir auf der ersten Fährfahrt ein kleines Hostel gebucht. Nach den beiden letzten Nächten muss ich dringend noch einmal meine Sachen waschen, und auch eine Dusche tut mir und den Menschen, denen ich begegne, sicher gut! Ich umgehe damit auch den Auf- und Abbau des Zelts im Regen, bin ich doch froh, es gerade wieder trocken zu haben. In Rohuküla verlasse ich die Fähre und sehe Ungemütliches am Horizont aufziehen.
Mitten im Unwetter
Ich ziehe schnell die Regenjacke an, in der Hoffnung die letzten acht Kilometern meiner Tagesstrecke noch vor dem Regen zu schaffen. Mit 27 km/h flitze ich dahin – vergebens, das Gewitter ist schneller und holt mich mit Starkregen und Graupel ein, bis der Regen aus den Gullydeckeln quillt. Keine Chance mehr für Überschuhe, meine Schuhe sind klätschnass. Ich bin gespannt, wie feucht sie morgen noch sind. Dank Hostel in Haapsalu kann ich es zumindest einigermaßen trockenlegen. Ich wasche bei der Gelegenheit meine Sachen inklusive meiner beiden einzigen T-Shirts. Der Raum steht anschließend vor Feuchtigkeit. Mal sehen, was davon bis morgen trocken ist.
Ein leckerer Flammkuchen im Restaurant Flamm in Haapsalu mit einem Glas Rotwein entschädigt und bringt die Lebensgeister zurück. Ich kann den mit Gorgonzola und Muskatnuss empfehlen, sehr lecker. Der Besitzer, ein Deutscher, kocht mit einem Österreicher. Beide sind jedoch leider sehr abweisend, als ich mich erkundige, wie es sie nach Estland verschlagen hat. Schade, auch vom Interieur sonst ein toller Laden, aber zum RRG-Tipp fehlt die persönliche Note.
Auf dem Rückweg führt es mich durch die weitläufige Bischofsburg Haapsalu aus dem 13. Jahrhundert. Sie ist eine architektonische Besonderheit, toll erhalten und gut in Szene gesetzt. Ein Museum reizt zum Besuch, was aber für Radreisende wegen Gepäck und Öffnungszeiten oft schwierig ist. Allerdings erwischen mich auf dem 10-minütigen Weg durch die Anlage 14 Mücken an den Beinen, alles juckt, und ist voller Blut, in der Menge, kurzer Zeit und Intensität habe ich es bislang auf der Fahrt kaum erlebt. Es waren wohl mittelalterliche Burgmücken!
So bin ich froh auf dem Zimmer zu sein, und es sieht aus, als bekäme ich das erste mal seit langem meinen Blog schon vor Mitternacht fertig. Der Shift auf frühere Zeiten scheint zu funktionieren! Morgen geht es weiter Richtung Tallinn, das ich abends oder am nächsten Tag erreichen werde.
2 Kommentare
…mittelalterliche Burgmücken… ?
Bestimmt?
Mit Rüstung! ?