Moddergat – Pieterburen | Heute 47 km | Gesamt km 534
Gestern abend am Imbiss hatten wir ein sehr nettes Gespräch. Zwei Menschen passierten und sagten ‚aha, auch Deutsche‘. Wir kamen mit dem Essener Ehepaar ins Gespräch und nach circa 20 Minuten luden sie uns zum Tee am Morgen ein – aber nicht vor neun Uhr!
So schlafen wir erstmal bis 8 Uhr aus nach dem vorherigen anstrengenden und langen Tag. Dann schreibe ich bis 9 Uhr meine Reiseberichte der vergangenen beiden Tage. Susanne ist nicht sicher, wie ernst die Einladung zum Tee gemeint war, aber auf einen Tee kann nicht schaden, meine ich.
Plötzlich eine Stimme auf dem Platz zum Nachbarzelt: ‚Guten Morgen, schlafen die noch?‘ Zunächst denken wir an den Verwalter, doch dann erkennen wir die Stimme vom Vorabend. Wir kommen aus dem Zelt und werden empfangen mit ‚Das Frühstück ist fertig, wo bleibt ihr denn?‘ Wir müssen lachen, beeilen uns, und werden zu dem ca 1,5 km entfernten schönen Haus chauffiert. Das erste mal Auto seit zwei Wochen! Es erwartet uns neben interessanten und herzlichen Gesprächen in den kommenden zwei Stunden ein Frühstück deluxe, unter anderem mit frisch gepresstem Orangensaft, selbstgemachter Marmelade, grünem Tee und Kaffee! Was für eine Überraschung!
Wir genießen die Zeit, auch wenn wir längst radeln wollten. Genau dafür sind wir unterwegs, Menschen begegnen und gute Gespräche führen. Wir erzählen alle erstaunlich offen, dafür dass wir uns am Vorabend das erste mal begegnet sind. Wir verabschieden uns dankbar und Herr Klein, der in der gleichen Branche wie ich gearbeitet hat und nun in Pension ist, fährt uns wieder zu unserem Platz zurück. Frühstück mit Chauffeur auf Radtour, unglaublich!
Wir packen unsere Sachen und radeln zunächst die zwei Kilometer zurück zur Vogelauffangstation. Dort ist Julians Möwe tatsächlich angekommen. Es ist eine junge Kokmeeuv und sie ist an Botulismus erkrankt. Ihr kann aber geholfen werden. Julian ist fröhlich sie gerettet zu haben. Das kann er auch, sie wäre sonst eingegangen.
Wir fahren los – nicht ohne im Dorfkern noch ein Brötchen mit frisch geräuchertem Aal zu verkosten. Dabei schauen wir uns die restaurierten alten Fischerhäuser an, die ein Museum beherbergen. Von dieser Stelle oben am Deich über den Fischerhäusern starteten 22 Fischerboote im Jahr 1883 mit 109 Fischern an Bord von jung (12 Jahre) bis alt. Sie gerieten in einen schweren Sturm, dabei kamen 83 ums Leben, nur 5 Boote kehrten zurück. Eine Tragödie fürs Dorf, fast jede Familie hatte Verluste zu beklagen, es läutete das Ende der Fischerei in Moddergat ein.
Oh, ein Anruf auf meiner Mailbox, Herr Klein, der Julian vorhin mit viel Spaß ein neues Kartenspiel beigebracht hat, hat nochmal durchgegeben, wo die Regeln stehen. Wir fahren spontan nochmal mit den Rädern vorbei und Julian übergibt als Dank für die beeindruckende Gastfreundschaft die Kerze, die er gestern von Tjerk Ridder, dem Wanderer mit Esel, bekommen hatte. Eine schöne und herzliche Übergabe!
Los jetzt, 13 Uhr und wir haben noch keinen Kilometer vorwärts geschafft! Wir werden von Regenschauern begleitet und machen schon an der Schleuse zum Lauwersmeer eine Lunchpause, um den Regen vorüberziehen zu lassen und einen Blick auf die Segelschiffe zu werfen. Hier verläuft auch die Grenze zwischen Friesland und Groningen, und die Fähre nach Schiermonnikog startet von diesem Hafen. Das Lauwersmeer ist wie das Veerse Meer in Zeeland Brackwasser, die Verbindung zur Nordsee besteht seit 1969 lediglich noch durch die Schleuse. Seit 2003 bildet die veränderte Fauna und Flora den Nationalpark Lauwerszee.
Wir fahren südöstlich über einen schmalen Radweg entlang der LF10 a durch das Gebiet Marnewaard, ein aktives Militär-Übungsgebiet. Die Warnlampen sind aus, so dass wir passieren können. Immer wieder passieren wir Warnschilder und Wassergräben. Alle 200 Meter müssen wir kurz absteigen, um die Sandpisten zu queren. Oft sind um solche Gelände Naturschutz-Gebiete, aber hier führt eine Rad-Fernstrecke mitten hindurch. Uns fällt auf, dass die Niederländer auch hier eher integrieren als abzugrenzen. Ach so, es gibt natürlich eine Umleitung, wenn aktive Übungen laufen!
Der Tag führt uns nun kilometerweit über Feldwege und durch kleine Dörfer durchs Landesinnere, wir sehen immer wieder herrliche alte Häuser, die offenbar den Kriegszerstörungen des zweiten Weltkriegs entgangen sind. Die Campingplätze sind seit Friesland nicht mehr so reich gesät wie in Nordholland, und so machen wir in Pieterburen halt. Der Platz ist so gut wie leer, wir kommen wieder für 15 € unter. Am Platz auch Radreisende aus Heidelberg, die von Amsterdam nach Borkum unterwegs sind, sowie zwei Niederländer, die von Le Havre über Guernsey und England morgen nach 1700 km ihre letzte Etappe fahren werden.
Julians Hinterrad frisst auf dem Platz seinen Spanngurt, und eine Entfernung ist nur noch mit einem beherzten Schnitt möglich. Es passieren immer wieder unvorhergesehene Dinge auf Radtouren, das lässt es spannend bleiben.
Unsere Vorräte sind alle und wir essen abends Pizza für 14,90 €, egal welche. Aber zugegeben in der Luxusvariante, sehr groß, sehr gut. Dabei machen wir für morgens im dazugehörenden gegenüberliegenden Hotel noch Frühstück klar. Wir sind übrigens ohne Camping Kocher unterwegs und haben schon vorher beschlossen, entweder Supermärkte für Abendbrot und Frühstück zu nutzen, oder es uns in Restaurants gut gehen zu lassen. Ist man dann ein richtiger Camper? Uns egal. Es hätte auf jeden Fall noch einer Tasche mehr bedurft! Und so ließ sich auch Susanne auf die Tour ein.
Die Nacht ist regnerisch und unruhig, hier schlagen die Kirchturmuhren die ganze Nacht durch zur vollen Stunde. Sehr praktisch: So weiß man immer direkt, wieviel Uhr es ist, wenn man von ihnen geweckt wird!